Die wundersame Bettelschale

 

Es war früh am Morgen und der König begab sich auf einen Spaziergang auf seinem schönen Landgut. Da sprach ihn ein Bettler an.

«Was begehrst du» fragte der König. «Bevor du mich das fragst, überlege es dir gut» sagte der Bettler. Der König war mächtig und war es nicht gewohnt, dass jemand – und dazu noch ein Bettler – ihm sagte: «Überleg’ es dir gut, es könnte sein, dass du es nicht erfüllen kannst.»

«Keine Sorge, das ist meine Sache – begehre, was du willst, und es wird geschehen» antwortete der König. Darauf sagte der Bettler: «siehst du meine Bettelschale? Ich möchte, dass sie gefüllt wird. Es spielt keine Rolle, womit, die einzige Bedingung ist, dass sie voll ist. Du kannst immer noch Nein sagen, denn du riskierst viel!»

Der König lachte: die Schale eines Bettlers füllen und von ihm auch noch gewarnt werden. Er rief seinen Grosswesir und gab Anweisung, die Schale mit Diamanten zu füllen; der Bettler sollte wissen, mit wem er es zu tun hatte. Und noch einmal warnte der Bettler: «Überleg’ es dir gut.»

Aber bald schon wurde klar, dass der Bettler Recht hatte, denn in dem Moment, als die Diamanten in die Bettelschale geschüttet wurden, verschwanden sie einfach.

In Windeseile hatte sich dies in der Stadt herumgesprochen und die Leute kamen in Scharen, um zuzuschauen. Als alle Edelsteine verschwunden waren, befahl der König: «Bringt das ganze Gold und Silber herbei, Alles! Mein ganzes Reich, mein guter Ruf steht auf dem Spiel!» Doch schon am Abend war alles verschwunden. Nur zwei Bettler blieben übrig: einer von ihnen war einmal König gewesen.

Der König sagte: «bevor ich mich bei dir entschuldige, dass ich deine Warnungen in den Wind geschlagen habe, verrate mir bitte das Geheimnis deiner Bettelschale.»

Der Bettler erwiderte: «Es gibt kein Geheimnis. Ich habe sie poliert, damit sie wie eine Schale aussieht, aber es ist die Schädelschale eines Menschen. Du kannst den Kopf ständig mit allem Möglichen füllen – und es verschwindet.»

Eine Weisheitsgeschichte aus dem nahen Osten

Die Geschichte ist sehr bedeutungsvoll. Hast du je über deine eigene Bettelschale nachgedacht? Alles verschwindet: Macht, Prestige, Ansehen, Reichtümer, Wissen. Alles verschwindet, aber deine Bettelschale öffnet immer wieder ihren Rachen und will mehr.Und diese Gier hält dich ab von dem, was ist, hält dich ab von diesem Augenblick, vom wirklichen Leben. Die Mehrheit der Menschen läuft dem Schatten hinterher. Sie behalten ihre Bettelschale und nehmen sie mit ins Grab. Eine kleine Minderheit hört auf zu rennen und löst sich von der Gier – und diese Menschen finden plötzlich alles in sich selbst und werden nicht mehr gelebt von ihren Gedanken nach Mehr, sondern sie leben ihr Leben aus der inneren Fülle.

Die Stille im Sturm

 

«Jedes Unwetter hat eine Art Nabel in der Mitte, einen Ort, wo es ganz still ist und eine Möve hindurch fliegen kann« (Harold Bynner).

Die Festung, die wir um unser Herz bilden, mag Angst und Schmerz ausblenden, aber sie hindert auch die Sanftheit am Hereinkommen.

Mit ständiger Aktivität bauen wir eine falsche Art von Sicherheit auf und investieren damit in unsere eigene Erschöpfung. Oft aber kommt unsere Erschöpfung nicht aus dem Zuviel, sondern aus einem Mangel an wirklichem Herzensengagement.

Müssen wir sterben, bevor wir Frieden finden?

Dieser Friede stellt sich ein, wenn Weniger zu Mehr wird, wenn wir dem Dringlichen nicht erlauben, das Wichtigste wegzudrängen: den jetzigen Moment – mit all seiner Frische und Lebendigkeit. Wir können das Leben nicht verlängern, aber vertiefen: uns rückverbinden an diesen inneren Ort in uns, wo es ganz still und friedlich ist – im jetzigen Moment.

Auf der Oberfläche des Ozeans sind immer einige turbulente Wellen, genau wie in unserem Geist die Gedanken – da sind immer wieder Winde des täglichen Lebens, Umgang mit schwierigen Menschen, Sorgen, Zeitdruck, die Strukturen des Alltags etc. Wenn wir da voll drin stehen, lassen wir uns leicht überwältigen oder sehen uns gar als Zentrum des Universums und fühlen uns für Vieles oder überhaupt Alles verantwortlich und wollen die Kontrolle nicht verlieren.

Aber wir sind verantwortlich für die Wirkung, die sie auf uns ausüben und nicht für ihr Erscheinen:

Nicht wie der Wind weht, sondern wie wir die Segel stellen, darauf kommt es an.

Wenn wir uns tief in uns hinein sinken lassen wie ein Taucher, der in die Tiefe des Ozeans hinabtaucht, erfahren wir die Ruhe und die Stille des Meeresgrundes und sehen die aufgepeitschten Wellen der Gedanken an der Oberfläche des Ozeans mit Distanz. Wenn wir dann den Rhythmus des Atems als Leitseil aufnehmen und Ein- und Ausatmen bewusst ein paar Züge lang verfolgen, glätten sich die Turbulenzen allmählich wie von selber. Das ist ein guter Anfang, sich den Umständen zu stellen und nicht von ihnen gesteuert zu werden.

frei nach dem Buch von Frank Ostaseski, «the five invitations»

Eine Zen Geschichte

 

Ein Philosophieprofessor besuchte den Zenmeister Nan-In auf seinem Berg und stellte ihm Fragen über Gott, über Buddha, über das Nirwana, über Meditation – Unmengen von Fragen.

Der Meister hörte schweigend zu – Fragen über Fragen über Fragen – schliesslich sagte er: “Du siehst müde aus, bist den ganzen Weg zu mir hinaufgeklettert und kommst von weit her. Ich möchte dir zuerst einmal Tee servieren.“Und der Zenmeister machte Tee. Der Professor wartete; er kochte innerlich vor lauter Fragen.

Während der Tee kochte, der Samovar zu singen begann und sich das Aroma des Tees entfaltete, sagte der Meister zum Professor: „Warte noch – sei nicht so ungeduldig. Wer weiss, vielleicht beantworten sich deine Fragen durch das Teetrinken von selbst …… oder sogar schon vorher.“

Der Professor war höchst irritiert. Er begann zu überlegen: „Vielleicht ist die ganze Reise umsonst gewesen – der Mann scheint verrückt zu sein! Wie könnten meine Fragen durch das Tee trinken gelöst werden? Wo ist da der Zusammenhang? Vielleicht sollte ich lieber so schnell wie möglich von hier verschwinden“. Aber er war auch müde und es war gut, eine Tasse Tee zu trinken, bevor er den ganzen Weg wieder hinuntergehen musste.

Der Meister brachte die Teekanne, goss den Tee in die Tasse – und goss immer weiter. Die Tasse war voll, und der Tee lief über in die Untertasse, aber er goss immer noch weiter. Dann war auch die Untertasse voll. Noch ein Tropfen mehr und der Tee wäre auf den Fussboden gelaufen.
Der Professor war ausser sich: „Hör’auf! Was tust du da? Bist du verrückt? Siehst du denn nicht, dass die Tasse voll ist? Kannst du nicht sehen, dass auch die Untertasse voll ist?“

Da sagte der Zenmeister: „Genau in derselben Situation befindest du dich! Dein Kopf ist so voller Fragen, dass du, selbst wenn ich antworten würde, gar keinen Platz hättest, die Antworten aufzunehmen. Aber du scheinst ein intelligenter Mann zu sein, du konntest verstehen, dass auch nur ein Tropfen mehr Tee nicht mehr in die Tasse oder in die Untertasse ging, sondern auf den Boden gelaufen wäre.

Und ich sage dir: seit du hereingekommen bist, sind deine Fragen im ganzen Hause am Überlaufen. Diese kleine Hütte ist randvoll mit deinen Fragen. Geh’ zurück und leere deine Tasse aus, dann kannst du wiederkommen. Mach’ erst mal ein bisschen Platz in dir selbst.“